Ursachen erkennen – aber richtig!                  IMPRESSUM

Seit der Mensch sich ansetzte, aus der Natur in die Kultur „umzuziehen", hat er zum Zwecke der Anpassung bestimmte mentale Eigenschaften ausgebaut. Eine dieser mentalen Eigenschaften ist es, sich von der umgebenden Welt ein Bild zu machen, eine Vorstellung über das Wieso-Weshalb-Warum. Wir wollen nicht nur wissen, wie ein Ereignis zustande kam (Methode) und wozu es geführt hat (Konsequenzen), sondern auch, aus welchen Gründen es passiert ist (Ursachen). Wenn Menschen in unserer Umgebung etwas tun, das unsere Aufmerksamkeit weckt, dann wenden wir implizit unsere eigene „naive" Psychologie an, um das zu erklären.

Beispiel: Sie fahren auf der Überholspur der Autobahn und werden plötzlich von einem nachfolgenden Fahrzeug bedrängt, und Lichthupsignale lassen keine Zweifel darüber, dass nach Meinung des anderen Fahrers Ihr Untersatz am Besten auf dem Mond führe. Ist nun der Typ ein rücksichtsloser Hund, der auch seine Frau schlägt, seine missratenen Kinder bis spät in die Nacht Filme mit brutalen Inhalt sehen lässt und auch sonst tot mehr wert wäre? Oder ist es ein verzweifelter Ehemann, dessen Frau gerade mit einem Nierenkollaps ins Krankenhaus eingeliefert wurde, und die er mit einer Nierenspende nur noch innerhalb der nächsten halben Stunde retten könnte?

Beispiel: Sie kellnern in einem Restaurant. Nach geleistetem Service zahlt der Gast die Rechnung (€ 48,75) mit einem 50 € Schein und lässt sich das gesamte Restgeld (1,25 €) auszahlen. Hatten Sie es gerade mit dem geizigsten Mensch auf Gottes Erde zu tun, der doch wohl lieber daheim Kartoffeln fressen sollte? Oder hatte der Mann gerade einsam seinen Geburtstag gefeiert und konnte es sich aufgrund seiner Eigenschaft als Hartz IV-Empfänger (neue Unterspezies Homo germanicus hartzi, die aufgrund wirtschaftlicher Ignoranz und politischer Fehler wie Pilze nach dem Regen wachsen) einfach nicht leisten, auf das Restgeld zu verzichten, so unverhältnismäßig das auch klingen mag?

Wenn wir attribuieren (Ursachen zuschreiben) dann können wir das auf den Akteur (Verkehrsrowdy, Geizhals) oder auf die Situation (Krankenhausnotfall, finanzielle Enge mit strikter Prioritätensetzung) vornehmen. Die Wissenschaft lehrt uns jedoch, dass wir als Beobachter meist die Person für das Verhalten verantwortlich machen, während, würden wir selber diese Person in der gleichen Situation sein, wir unser Verhalten eher von den äußeren Umständen abhängig machen dürften (weiterführend in D. Frey und M. Irle – "Theorien der Sozialpsychologie", Band I, Verlag Hans Huber).

Da wir voreingenommen entscheiden, aufgrund von Attraktivität, persönlichem Befinden, aber vor allem von Transparenz und Informationsgehalt der Situation, liegen wir meist auch ein wenig falsch und oft tun wir den Handelnden völlig Unrecht. Das ist der Attributionsfehler. Dabei liegt der Fehler nicht so sehr darin, dass wir uns in unserer Ursachenzuschreibung irren, sondern, dass wir eben gerade dieser Denkstrategie zum Opfer fallen und uns selber ins unglaubwürdige Aus spielen.

Der Grund, weshalb ich Ihnen das erzähle ist folgender: wenn Sie in den oberen Beispielen zur ersten Erklärung tendieren (was die meisten Menschen tun würden), tun Sie sich damit keinen Gefallen. Sie ärgern sich selbst möglicherweise mehr darüber, als gesund ist. Und möglicherweise liegen Sie auch noch falsch. Tun Sie sich selber einen Gefallen und attribuieren Sie bei der nächsten ähnlichen Gelegenheit auf die Situation. Dass soll das erlebte Verhalten nicht entschuldigen, und vielleicht irren Sie sich trotzdem, aber Ihrer eigenen psychischen Gesundheit ist damit weitaus mehr gedient.

 

CK